Vortrag (16.10.2024): Dr. Laura Soréna Tittel: Gießen Antiziganismus in der Frühaufklärung: Ein Gießener Gerichtsprozess im Jahr 1726
Von ohg am 02.10.2024
Der OHG lädt herzlich ein zu einem
Vortrag am Mittwoch, dem 16. Oktober 2024 um 19
Uhr
im Netanya-Saal im Alten Schloss am
Brandplatz.
Gegen Ende der Frühaufklärung im Jahr 1726 wurde am Peinlichen Gericht zu Gießen ein Prozess gegen 28 Personen geführt, die beschuldigt wurden, Teil einer „Zigeuner-, Diebes-, Mord- und Räuberbande“ zu sein. Die meisten der Angeklagten, darunter auch Frauen, wurden mittels Schwert, Galgen oder Rädern in einem großen Schauprozess hingerichtet. Während die Gerichtsakten nicht mehr vorliegen, gibt es mehrere Bücher aus jener Zeit, die sich mit dem Gerichtsprozess oder den Angeklagten beschäftigen. Diese verdeutlichen, dass es sich nicht um eine einfache Strafverfolgung, sondern um einen politisch bedeutsamen Prozess handelte, der ein klares Zeichen an die Bevölkerung/Untertanen senden wollte: Die sogenannten „Zigeuner“ stellen eine Bedrohung dar.
Um den besagten Gerichtsprozess und seine politischen Dimensionen besser verstehen zu können, geht der Vortrag auf den historischen und ideengeschichtlichen Kontext der Frühaufklärung und die damals vorhandenen, antiziganistischen Stereotype und Praktiken ein. Der Beginn des 18. Jahrhunderts wird in der Forschung als Zeit der „Zigeunerjagden“ und „Bettlerjagden“ und erste Hochzeit der antiziganistischen Verfolgung bezeichnet. Auch die Vordenker und Denker der Aufklärung wie etwa Hobbes, Kant und Herder beschäftigten sich mit der Frage, welche gesellschaftliche Rolle sogenannten „Zigeunern“ im staatlichen Zusammenhang zukommt und trugen zur Verbreitung von Stereotypen bei. Entsprechend muss der Gießener Gerichtsprozess im Kontext aufklärerischem Denkens, gesellschaftlichem Umbruchs und zahlreicher weiterer Rechtsprozesse gegenüber einer Bevölkerungsgruppe verstanden werden, die zunehmend gesellschaftlichen Ausschluss erfuhr.
Der Vortrag eröffnet die Plakat-Ausstellung "Sinti und Roma. Eine Minderheit zwischen Verfolgung und Selbstbestimmung" im Oberhessischen Museum, die vom 17.10. bis 15.12.2024 gezeigt wird.
Weitere Infos zur Vernissage und Ausstellung finden Sie auch online.
Kurzbiografie:
Dr. Laura Soréna Tittel studierte Sozialwissenschaften, Geschichte und Jura an der Universität Osnabrück und Politische Theorie an der Goethe-Universität Frankfurt, der TU Darmstadt und der Virginia Tech. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Politische Theorie und Ideengeschichte der Justus-Liebig-Universität Gießen. Dort forscht sie seit März 2018 im DFG-geförderten Sonderforschungsbereich „Dynamiken der Sicherheit“ zu antiziganistischen Versicherheitlichungspraktiken. In diesem Rahmen entstand auch ihre Doktorarbeit „Politische Theorie des Antiziganismus – Genese und Kritik eines modernen Herrschaftsverhältnisses”, die mit dem Dissertationspreis der Justus-Liebig-Universität Gießen (2022/23) und mit dem Wilhelm-Liebknecht-Preis 2023 der Stadt Gießen ausgezeichnet wurde und 2024 als Monografie im Transcript Verlag erscheint.
Auch Nicht-Mitglieder sind herzlich eingeladen. Der Eintritt ist frei, Spenden sind willkommen. Eine vorherige Anmeldung ist nicht nötig.
Bitte beachten Sie auch unseren Flyer mit Vortrags- und Exkursionsprogramm 2024/25.