Vortrag (23.06.2023): Dr. Jan Philipp Wölbern, Eine Busfahrt nach Gießen – eine Busfahrt in die Freiheit. Zwischen Menschenhandel und humanitären Aktionen: Der Häftlingsfreikauf aus der DDR


In Zusammenarbeit mit dem Förderverein Lern- und Erinnerungsort Notaufnahmelager Gießen e.V.

EINLADUNG ZUM VORTRAG
Netanya-Saal im Alten Schloss, Brandplatz
Freier Eintritt, ohne Anmeldung

Freitag, 23. Juni 2023, 19 Uhr

Es war ein innerdeutsches Tauschgeschäft, Mensch gegen Ware, das parallel zur Existenz von Mauer und Grenzregime praktiziert wurde: Von 1963 bis 1989 kaufte die Bundesregierung über 33.000 politische Häftlinge aus DDR-Gefängnissen frei. Im Gegenzug erhielt das SED-Regime Waren im Wert von rund drei Milliarden DM. Als bevollmächtigte Vermittler verhandelten die Berliner Rechtsanwälte Jürgen Stange (West) und Wolfgang Vogel (Ost) unter strikter Geheimhaltung über die Namen und jeweiligen Gegenleistungen. Im Auftrag der SED war das Ministerium für Staatssicherheit an der Durchführung der „Häftlingsaktionen“ an zentraler Stelle beteiligt. Die freigekauften Häftlinge wurden aus dem Stasi-Untersuchungsgefängnis in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) mit Bussen ins Notaufnahmelager in Gießen gefahren, das vielen als "Tor zur Freiheit" galt.

Bis heute sind die Wirkungen des Freikaufs umstritten, denn für beide Seiten stellte er eine Gratwanderung dar: Für den Westen, da er zwar unschuldig Inhaftierten zur Freiheit verhalf, die Gegenleistungen jedoch das SED-Regime stabilisierten. Noch größer waren die Widersprüche seitens der DDR: Einerseits wurden die Waren bzw. Devisen für Wirtschaft und Schuldendienst verwendet, doch demoralisierte der Freikauf die Mitarbeiter des Repressionsapparates, eröffnete Ausreisewilligen ein Schlupfloch in der Mauer und beschädigte das internationale Ansehen der DDR.

Der Referent Jan Philipp Wölbern studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Englisch für das Lehramt in Marburg, Freiburg und Sheffield. Gefördert durch ein Promotionsstipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) wurde er 2013 mit einer Dissertation zum Thema „Der Häftlingsfreikauf aus der DDR, 1962/63-1989. Zwischen Menschen- handel und humanitären Aktionen“ an der Universität Potsdam promoviert. Er arbeitete 2014-2016 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) Potsdam, leitete ein Forschungsprojekt zum Thema Haftzwangsarbeit in der DDR. Anschließend war er in einem Kooperationsprojekt des ZZF und des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin (IfZ) zur Nachkriegsgeschichte des Bundesinnenministeriums tätig. Seit 2016 ist er Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Berlin und wird im August 2023 die Stellvertretende Leitung des KAS-Auslandsbüros Ukraine übernehmen.

Zurück zu Aktuelles

„Und in allen Gegensätzen steht ...

... – unerschütterlich, ohne Fahne, ohne Leierkasten, ohne Sentimentalität und ohne gezücktes Schwert – die stille Liebe zu unserer Heimat.“ (Kurt Tucholsky)